Pflichtverteidigung
Als Pflichtverteidiger wird ein Verteidiger (in der Regel ein Rechtsanwalt) bezeichnet, der einem Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten durch das zuständige Gericht in einem Strafverfahren beigeordnet wird. In besonderen Fällen ist dies auch in Bußgeldverfahren möglich. Ein Pflichtverteidiger ist von Amts wegen zu bestellen, wenn ein Fall der sog. notwendigen Verteidigung gemäß §§ 140 ff. Strafprozessordnung (StPO) vorliegt und der Beschuldigte, Angeschuldigte oder Angeklagte noch keinen von ihm gewählten Verteidiger hat. Der Pflichtverteidiger wird aus der Staatskasse bezahlt. Im Falle einer Verurteilung hat der Angeklagte jedoch die Gebühren der Staatskasse zu erstatten.
Regelmäßig wird im Fall einer notwendigen Verteidigung dem Angeschuldigten mit Übersendung der Anklageschrift mitgeteilt, dass er einen Verteidiger seiner Wahl benennen kann und ihm andernfalls ein Pflichtverteidiger durch das Gericht bestellt wird. Hat der Angeschuldigte bereits einen Wahlverteidiger, kann dieser die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen und muss dann sein Wahlmandat niederlegen. Der Angeschuldigte hat somit einen Einfluss darauf, wer sein Pflichtverteidiger wird, sofern der Betreffende dazu bereit ist, das Mandat auch als Pflichtverteidigung zu übernehmen.
Nach § 140 Abs. 1 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn
1. die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet;
2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3. das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4. gegen einen Beschuldigten Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a StPO oder einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO oder § 275a Absatz 6 StPO vollstreckt wird;
5. der Beschuldigte sich mindestens drei Monate auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird;
6. zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 StPO in Frage kommt;
7. ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8. der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist.
In anderen Fällen bestellt das Gericht nach § 140 Abs. 2 StPO auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage ist beispielsweise regelmäßig gegeben, wenn bei Verurteilung ein Bewährungswiderruf in einem anderen Verfahren droht. Das Landgericht München I hat zudem entschieden (17 Qs 23/12, 12.07.2012), dass ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt, wenn ein Mitangeklagter einen Pflichtverteidiger hat. Dann ist dem anderen Mitangeklagten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens auch ein Pflichtverteidiger zu bestellen.
Gemäß § 141 Abs. 1 und 2 StPO ist der Verteidiger spätestens dann zu bestellen, wenn der Angeschuldigte zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert wird. In der Regel wird zu diesem Zeitpunkt ein Pflichtverteidiger bestellt. Ergibt sich erst später, dass ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt, ist sofort ein Verteidiger zu bestellen. Gemäß § 141 Abs. 3 StPO ist auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Verteidigerbestellung auch bereits im Ermittlungsverfahren möglich. Bei einer Untersuchungshaft muss sogar nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO i.V.m. § 141 Abs. 3 StPO unverzüglich mit Beginn der Untersuchungshaft ein Pflichtverteidiger bestellt werden. Zuständig dafür ist der Ermittlungsrichter. Weiterhin kommt ein Fall notwendiger Verteidigung auch im Strafvollstreckungsverfahren in Betracht, wenn es um die Entscheidung eines Bewährungswiderrufes geht.
Keine Rolle spielt bei der Beurteilung, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, die Frage, ob sich der Betroffene einen Verteidiger finanziell leisten kann. Sollten Sie einen Verteidiger benötigen, diesen aber nicht bezahlen können, prüfen wir für Sie, ob eine Pflichtverteidigung in Ihrem Falle in Frage kommt. Für die Beratung sollten Sie sich beim zuständigen Amtsgericht einen Berechtigungsschein für Beratungshilfe holen.
(© und Autor: Loubal)
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